Ausbildungsverhinderung für arme Leute

Rolf Klinkel (GAL): „Das ist Ausbildungsverhinderung für arme Leute!“

Zum Versprechen des Bürgermeisters, Schüler*innen, die über 8 Monate auf Bafög Leistungen warten müssen, schnelle Hilfe zu leisten und ihnen im Einzelfall Abschläge zu zahlen, erklärt Rolf Klinkel, soziapolitischer Sprecher der GAL-Bürgerschaftsfraktion:

„Zuvor hat meine Fraktion in einem Bürgerschaftsantrag gefordert, Vorschüsse an die betroffenen Schüler*innen zu zahlen. Die Ankündigung, Abschläge nur im Einzelfall zu zahlen, ist nicht ausreichend. Solche Zahlungen müssen alle bekommen, die monatelang auf die finanzielle Förderung ihrer Schulausbildung warten müssen.

Es ist zynisch, von schneller Hilfe zu reden, wenn junge Menschen fast ein dreiviertel Jahr auf diese Hilfe warten, weil die Sozialverwaltung Vorschusszahlungen mit der Begründung ablehnt, das Land finanziere das Schüler-Bafög und das Computerprogramm sehe Vorschüsse eben nicht vor. Dies ist Unsinn.

Tatsächlich haben Antragssteller*innen Ansprüche auf Vorschüsse, wenn ein Antrag nicht innerhalb eines Monats entschieden wird (vgl. § 42 SGB I). Das Bafög-Gesetz schränkt diese Vorschrift allerdings dahingehend ein, dass Vorschüsse nur bei einem Erstantrag gewährt werden können (vgl. § 51 BAFöG).

Bei der Einschränkung der Vorschussregel ging der Gesetzgeber davon aus, dass ein Folgeantrag einfach zu entscheiden sei – und konnte sich das Lübecker Schneckentempo bei der Antragsbearbeitung nicht vorstellen. Die Bearbeitungsverzögerung ist nicht über Nacht eingetreten. Die Verantwortlichen hätten schon längst das Personal aufstocken müssen.

Für Vorschusszahlungen spielt es keine Rolle, wer die Sozialleistungen bezahlt. Hier kommt es nur darauf an,  wer die Hilfeleistung gewährt und wo sie beantragt wird. Unzweifelhaft wird das Schüler-Bafög im Amt für Ausbildungsförderung beantragt, das diese Sozialleistung dann gewährt und deshalb auch Vorschüsse zahlen muss.

Hier erweckt die Sozialverwaltung den Eindruck, sie könne wie ein Westentaschenmonarch nach Gutdünken entscheiden und außerhalb gesetzlicher Vorschriften Notleidende im Regen stehen lassen.

Eine Sozialverwaltung ist jedoch dafür da, bedürftigen Menschen schnell zu helfen, sie zu unterstützen und mit Leistungsgewährungen aus finanziellen Notlagen zu befreien Auch den Ärmsten der Armen soll sie ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.

Zwar reden alle von einer guten Berufsausbildung für junge Menschen. Aber oft scheitert schon eine höhere Schulbildung am leeren Geldbeutel der Eltern. Mit einer Ausbildungsförderung wie dem Schüler Bafög soll das verhindert werden.

Seit August letzten Jahres ist die Lübecker Sozialverwaltung  dazu aber nicht in der Lage. Seit inzwischen acht Monaten warten noch über dreihundert Schüler*innen auf ihre Bafög-leistungen, die sie dringend zum Überleben benötigen – und ohne die sie teilweise gezwungen werden, den Schulbesuch abzubrechen.

Zum Schluss möchte ich bemerken: Wenn dringend benötigte und gebotene Vorschusszahlungen daran scheitern, dass Computerprogramme diese nicht vorsehen, macht es uns deutlich, wo die ‚schöne neue’ digitale Welt uns hinführt: Zu unmenschlichen Entscheidungen elektronischer Maschinen und zur Ausbildungsverhinderung für arme Leute.“

 

Anlage:

 

grün+alternativ+links (GAL) • Vorschusszahlungen von BAFöG-Leistungen an Schülerinnen und Schüler

Antrag:

Der Bürgermeister wird aufgefordert dafür zu sorgen, dass

  1. an Schülerinnen und Schüler, die BAFöG-Leistungen beantragt haben, diese aber  nach einen Monat oder längerer Bearbeitungszeit noch nicht erhalten, gemäß § 42 SGB I umgehend Vorschüsse gezahlt werden; und
  2. diese Vorschüsse rückwirkend ab dem Zeitpunkt des zu erwartenden Leistungsanspruchs und jeweils monatlich bis zur Leistungsgewährung gezahlt werden.Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) – Allgemeiner Teil – (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015)(1) Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschusszahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.
  3. § 42 [Vorschüsse]
  4. Begründung:

(2) Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend