„… und ging das Fischsterben in einem fort…“

Dr. Wolfgang Muth (c) K.Mentz/GAL

Die Verschmutzung der Trave durch das Hochofenwerk und ihre Folgen.

Das 1907 in Betrieb gesetzte Hochofenwerk in Herrenwyk war von Anfang an nicht nur einer der größten Verbraucher von Travewasser, sondern auch der größte Verschmutzer des Flusses. Vor allem die Fischer klagten immer wieder über Fischsterben, die ihre wirtschaftlichen Grundlagen zerstörten.

In einem Vortrag, den der Historiker Dr. Wolfgang Muth auf Einladung der GAL Fraktion Ende Oktober hielt, beschreibt er die Auseinandersetzungen zwischen Fischern und Werk, die sich über Jahrzehnte hinzogen. In dem folgenden Artikel fasst Dr. Muth die damaligen Auseinandersetzungen um den Umweltskandal zusammen.

„…und ging das Fischsterben in einem fort…“

Die Verschmutzung der Trave durch das Hochofenwerk Lübeck

Mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Verstädterung wurde der Verbrauch der natürlichen Ressourcen von Luft, Boden und Wasser immer stärker. Für die Verfechter des industriellen Fortschrittes war das ein hinzunehmendes Risiko. Politik und Rechtsprechung wurden sich erst mit der Zeit der Gefahren eines solchen Vorgehens bewusst. In den letzten Jahrzehnten gelang es durch verstärkte Umweltgesetzgebung, dieser negativen Entwicklung entgegen zu steuern. Dabei wird allerdings nicht ein vollkommener Stop des Ressourcenverbrauchs in den Mittelpunkt gestellt, sondern es geht um eine Eingrenzung der Verschmutzung auf ein Höchstmaß durch die Festsetzung von Grenzwerten für einzelne Schadstoffe. Mein Beitrag befasst sich auf der Basis eines breiten Quellenbestandes − Akten des Hochofenwerkes und des Polizeiamtes Lübeck − mit einem konkreten Problem der Lübecker Umweltgeschichte, das auch heute noch Aus- und Nachwirkungen hat: Die Verschmutzung der Trave durch das Hochofenwerk Lübeck und ihre Folgen.

Städtische Entwässerung als Verschmutzungsfaktor

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurde zum ersten Mal die Nutzung der Trave als so genannter Vorfluter zur Abführung von Abwässern diskutiert. Hierbei ging es zunächst in der Hauptsache um die städtischen Abwässer. Seit den 1850er Jahren hatte man damit begonnen, die Brauchwässer in Sielen zu sammeln und dann hauptsächlich in die Trave abzuführen. Bis 1876 war die Entwässerung der Innenstadt erreicht. Das Ansteigen der Bevölkerung und die verstärkte Besiedlung der Vorstädte ließen die Problematik aber immer größer werden. Der Trinkwasserverbrauch stieg ständig, deshalb hatte man immer mehr Mühe, eine Störung der Trinkwasserentnahme durch Sieleinleitungen zu verhindern. 1896 erarbeitete Wasserbaudirektor Peter Rehder ein Gutachten zu dieser Problematik. Darin ging es um die günstigsten Möglichkeiten zur Klärung der anfallenden Abwässer, wobei er die Einrichtung von Rieselfeldern als die für Lübeck beste Lösung ansah. Er kam zu dem Schluss, dass das städtische Sielsystem angemessen und ohne Probleme arbeitete. Es käme nur darauf an, eine Schädigung der Trinkwasserentnahme zu verhindern. Deshalb verlangte Rehder, dass keine Sielableitungen in die Wakenitz erfolgen dürften. Gegen eine Abführung der Abwässer in die Trave war für ihn solange nichts einzuwenden, wie die Selbstreinigung des Flusses funktionierte. Das Ergebnis der Diskussionen innerhalb von Senat und Bürgerschaft war, dass man das bestehende System für ausreichend erklärte und damit die städtischen Abwässer für lange Zeit weitestgehend ungeklärt in die Trave abgeleitet wurden.

Das Hochofenwerk und seine giftigen Einleitungen

Eine größere Aufmerksamkeit für die Folgen der Traveverschmutzung setzte erst mit der verstärkten Industrialisierung und hier vor allem mit dem Bau des Hochofenwerkes in Herrenwyk im Jahre 1906/1907 ein, denn dadurch wurde der Fluss in einem bisher nicht geahnten Ausmaß belastet. Eine gesetzliche Grundlage zur Verhinderung der Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser gab es zu diesem Zeitpunkt lediglich in der Gewerbeordnung. § 16 legte fest, dass Betriebe, welche „für die Besitzer oder Bewohner benachbarter Grundstücke oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können“, einer besonderen Genehmigung bedurften. Anwohner konnten in einem Anhörungsverfahren Einsprüche einlegen. Nach einer Verhandlung darüber wurde die staatliche Konzession unter Festsetzung von Bedingungen erteilt. Wenn diese erfüllt waren, war ein nachträgliches Eingreifen der Behörden, vor allem der Erlass weitergehender Einschränkungen, so gut wie ausgeschlossen. Nur wenn sich schwerwiegende Probleme ergaben oder einem Werk nachgewiesen werden konnte, dass seine Anlagen nicht dem Stand der Technik entsprachen, konnten Auflagen zur Einhaltung der Bedingungen erlassen werden. Ein Antrag auf Stilllegung einer einmal konzessionierten Anlage war so gut wie unmöglich. Fühlte sich ein Anlieger oder sonstiger Interessent durch die Emissionen eines Werkes geschädigt, so blieb ihm nur der Weg einer Privatklage auf Schadenersatz.

Am 24. Oktober 1906 erteilte das Polizeiamt der Freien und Hansestadt Lübeck der Aktiengesellschaft Hochofenwerk die Genehmigung „zur Errichtung einer Hochofenanlage, verbunden mit Schlackensteinfabrik, sowie einer Anlage zur Bereitung von Koks, verbunden mit einer Anlage zur Herstellung von Steinkohlenteer und Ammoniak.“ In Bezug auf die Abwässer wurden in der Konzession Bedingungen aufgestellt, die sich vor allem mit der Höchsttemperatur der Abwässer, ihrer Entlüftung und der Zurückhaltung von Feststoffen befassten. Am 7. August 1907 wurde das Werk mit dem Anfahren des ersten Hochofens in Betrieb gesetzt.

Fischsterben in der Trave

Am 26. Juli 1911 erreichte eine erste Beschwerde der Fischer das Polizeiamt: „Die Abwässer der Überlandzentrale kommen nicht geklärt in die Trave. Das ganze Wasser unterhalb der Einmündung ist an der Oberfläche mit einer dicken Fett- und Ölschicht überzogen, aber auch am Grunde des Wassers lagert sich eine teerähnliche Masse ab, die sich nicht nur traveabwärts, sondern auch traveaufwärts immer mehr ausbreitet. In der kleinen Bucht bei Herrenwiek ist kein Fisch mehr anzutreffen, auch die Aale, die sonst hier gute Fänge lieferten, sind zur Zeit vollständig verschwunden. Wenn hier keine Abhülfe geschaffen wird, dann wird die Trave über kurz oder lang ein vollständig totes Wasser. Auch die Abwässer des Hochofenwerkes scheinen nicht einwandfrei zu sein, es ist notwendig, wenn die Fischerei in der Trave nicht vollständig zugrunde gerichtet werden soll, daß beide Abwässer gründlich untersucht werden und baldigste Abhülfe geschaffen wird. “

Zwar ist in dieser Beschwerde von den Abwässern der Überlandzentrale die Rede, aber es handelt sich dabei hauptsächlich um Einflüsse des Kokereiabwassers, das in einem gemeinsamen Siel mit den Kondenswässern der Überlandzentrale abgeführt wurde. Solche und ähnliche Schreiben häuften sich in den kommenden Jahren. Im November 1915 forderten die Fischer die vorläufige Schließung der Anlage, bis die Abwässer ausreichend geklärt seien. Eine Handhabe dafür gab das Gesetz allerdings nicht her.

Das Polizeiamt unternahm bereits im August 1911 mit mehreren Sachverständigen eine Untersuchungsfahrt zu den Abwasserausflüssen des Hochofenwerkes, wobei Wasser- und Bodenproben genommen wurden. Auch mehrere Schilfstauden vom oberen Auslauf wurden zu Untersuchungszwecken entnommen. Die daraus entstandenen Gutachten kamen zu dem Ergebnis, dass in unmittelbarer Umgebung der Ausläufe schädliche Sedimente vorhanden waren und Giftwasser die Flora und Fauna schädigten. Diese würden aber durch die Trave sehr schnell verdünnt und verlören so ihre Schädlichkeit. Es wurde allerdings vom Werk verlangt, dass es seine Anlagen zur Klärung des Wassers verbesserte und staatliche Kontrollen an den Ausflüssen gewährleistete. Das Polizeiamt forderte dann das Hochofenwerk im November 1911 schriftlich auf, umgehend Vorkehrungen zu treffen, die eine Gefährdung der Fischerei ausschließen sollten. Andernfalls liege ein Verstoß gegen die Konzessionserteilung vom 24.10.1906 vor. Das Werk wies die Vorwürfe weitestgehend zurück. In einem Antwortschreiben hieß es am Schluss: „Die kleinen Quantitäten harmloser Abwässer, welche in einem Umkreis von 200 – 300 m kaum noch irgendwie chemische Wirkung hervorbringen können, werden sicherlich keinen so ungünstigen Einfluß haben, wie die Störung der Laichplätze durch Vertiefung des Wassers und durch den fast verdoppelten Schiffsverkehr.“

Die Behörden beschlossen weitere Untersuchungen und Beobachtungen vorzunehmen, bevor weiterreichende Maßnahmen ergriffen werden sollten. Das Hochofenwerk verlangte allerdings, dass Kontrollen vorher angemeldet werden müssten, da ein Betreten der Werksanlagen ohne Begleitung zu gefährlich sei. Das wurde von den vorgesehenen Kontrolleuren zurückgewiesen, da dann Manipulationen des Werkes nicht auszuschließen seien. Die Fischer beschwerten sich weiter über Wasserverunreinigungen und Fischsterben. Im Juni 1913 legte der Lübecker Chemiker Dr. Richard Behn ein sehr umfangreiches Gutachten über die Auswirkungen der Hochofenabwässer auf die Fischerei vor. Im Juni 1914 kam es dann zu einer erneuten Besprechung zwischen dem Polizeiamt und den Beteiligten. Die Firmenleitung schlug vor, eine Besichtigungsfahrt zu verschiedenen Hochofenwerken des Ruhrgebietes zu unternehmen, um aus den dort gewonnenen Erfahrungen Rückschlüsse für Lübeck zu ziehen. In der Zwischenzeit kam ein weiteres Problem für das Wasser hinzu, der Bau der Kupferhütte.

Planungen für Kläranlagen

Die Weiterführung der Planungen für effektive Kläranlagen kam durch den Beginn des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 ins Stocken. Die vom Hochofenwerk vorgeschlagene Besichtigungsfahrt wurde auf den Sommer 1915 verschoben. Danach machte das Werk sich an die Ausarbeitung von Plänen, die aber immer wieder ins Stocken geriet. Als neue Klagen der Fischer über Wasserverschmutzungen beim Polizeiamt eintrafen, forderte dieses das Hochofenwerk im November 1915 auf, das Projekt zu beschleunigen. Die am 18.2.1916 beim Polizeiamt eingereichten Pläne sahen vollkommen neue Einrichtungen für die Klärung des Gaswaschwassers und der Granulationsabwässer vor. Dadurch sollten einerseits die festen Bestandteile abgesetzt, andererseits durch intensive Durchlüftung des Wassers die Klärung soweit wie möglich vorangetrieben werden. Am 3.6.1916 erteilte das Polizeiamt die Erlaubnis zur Errichtung der Anlage, unter der Bedingung einer ständigen Kontrolle des abfließenden Wassers. Die Fertigstellung der Anlagen verzögerte sich immer wieder. Im Januar 1917 waren sie endlich betriebsbereit. Trotzdem meldeten die Fischer am 5. April 1917 wieder ein großes Heringssterben, was sie auf die Tatsache zurückführten, dass in dieser Zeit die Abwässer der Kupferhütte probeweise in die Kläranlage mit eingeführt worden seien. Wieder wies das Hochofenwerk alle Vorwürfe von sich. Prof. Steyer von der Staatlichen Pflanzenschutzstelle in Lübeck stellte allerdings in einem Gutachten vom 12. April fest, dass die Ursache in der Ableitung vollständig ungeklärter Abwässer in die Trave zu sehen sei.

Es entwickelte sich ein langwieriger Rechtsstreit. Der Prozess zog sich über mehrere Instanzen bis zum Reichsgericht in Leipzig hin und wurde erst am 30. April 1928 durch einen Vergleich vor dem Oberlandesgericht in Hamburg beendet. In der juristischen Auseinandersetzung wurden immer wieder neue Verhandlungsgegenstände eingeführt: die Menge der getöteten Fische und ihr Verkaufspreis, die Möglichkeit, diese Menge auch auf dem Markt abzusetzen, die Menge des betroffenen Beifanges, die Frage nach einem schuldhaften Verhalten der Firma. Bei der Schadensersatzsumme spielte im Endeffekt die Einlassung des Hochofenwerkes die Hauptrolle, dass diese nicht nach dem Geldwert am Tage des Heringssterbens, sondern nach demjenigen am Tag des Urteilsspruches festgelegt werden müsse. Da durch die Inflation zu Beginn der 20er Jahre den Fischern nur ein Viertel ihres Verkaufserlöses geblieben wäre, dürfe die Schadensersatzsumme auch nur auf ein Viertel festgesetzt werden. Das Gericht schloss sich dieser Auffassung an, was zur Folge hatte dass das Hochofenwerk auch nur ein Viertel der Verfahrenskosten zu tragen hatte.

Das Werk fasste das Ergebnis dieses Prozesses in einer kurzen Aktennotiz zusammen:

„Von den Fischern wurden eingeklagt M. 240.000,-. Wir haben endgültig bezahlt an die Fischer: M 70.719,50. Die Fischer hatten an Kosten zu zahlen: M 55.311,62; es blieb ihnen also ein Nettobetrag von M 15.407,88. Der Prozeß dauerte 12 Jahre. Vorhanden sind 53 Fischergenossen. Auf jeden Fischer entfielen also 15.407,88 : 53 = RM 290,71: Wegen dieses Betrages ist 12 Jahre prozessiert worden!“

„Wer Industrie will, muss kleinere Übelstände in Kauf nehmen.“

Im Oktober 1918 befasste sich auch die Lübecker Bürgerschaft mit der Problematik der Traveverschmutzung durch die Abwässer des Werkes. Der Rechtsanwalt Dr. Ernst Wittern, Vertreter der Fischer im Fischereiprozess, und der Schlutuper Räuchereibesitzer Heinrich Niemann brachten einen gemeinsamen Antrag ein: „Die Bürgerschaft ersucht den Senat, schleunigst Maßnahmen zu erwägen, die geeignet sind, die die Fischerei gefährdende Verunreinigung des Travenwassers durch das Hochofenwerk zu beseitigen, und insbesondere zu prüfen, ob dies durch einen Abwässerungskanal, der direkt in die Ostsee führt oder durch umfangreiche Kläranlagen nordwestlich des Hochofenwerks unter Benutzung der Niederungen des Kücknitzer Mühlbaches geschehen kann.“

Sie begründeten ihren Antrag mit der fortlaufenden Verschmutzung der Trave, wobei vor allem Dr. Wittern auf die Ereignisse vom 4. April 1917 und den laufenden Prozess einging. Gegen diesen Antrag sprachen sich hauptsächlich der Kaufmann Johannes Schwabroch und der Rechtsanwalt Dr. Görtz aus, beide Mitglieder im Aufsichtsrat des Werkes. Für sie bestand eine einmal getroffene Grundsatzentscheidung, dass Industrie angesiedelt werden sollte. Dann, so Schwabroch, „müssen wir auch die kleinen damit verbundenen Übelstände in den Kauf nehmen. Wir können uns entweder für das eine oder für das andere entscheiden. “

Als sich Ende der 20er Jahre wieder die Klagen der Fischer häuften, setzten sich beide Seiten zusammen, um eine friedliche Lösung des Problems zu finden. Der noch nicht abgeschlossene Fischereiprozess zeigte, dass bei Beschreiten des Klageweges beide Seiten eigentlich nur verlieren konnten. Am 24.8.1927 wurde eine Vereinbarung geschlossen, in der das Hochofenwerk sich verpflichtete, für die Zeit bis zum 31.12.1927 einschließlich eine Summe von 45.000 Mark an die Fischer zu zahlen. Für die folgenden Jahre sollten jeweils 15.000 Mark überwiesen werden.

Das Hochofenwerk wandte sich Ende 1931 an den Verein Deutscher Eisenhüttenleute mit der Bitte, ihm einen geeigneten Sachverständigen zu benennen, da die Fischer über die Hilfe eines geschickten Gutachters verfügten. Der Verein verwies das Werk an den Chemiker Dr. Schnitzler in Berlin, der bisher sehr erfolgreich für die Kaliindustrie gearbeitet habe und auch über die Adresse des Deutschen Kaliverbandes zu erreichen sei. In einer vertraulichen Äußerung vom September 1932 stellte Dr. Schnitzler dem Hochofenwerk gegenüber klar, dass man durchaus von Schädigungen durch seine Abwässer sprechen könne. Er schloss mit sehr deutlichen Worten: „Vom allgemeinen Standpunkt aus muß man die Abwasserfrage auf Ihrem Werk als in keiner Weise gelöst ansprechen; denn was zur Unschädlichmachung der Abwässer bei Ihnen geschieht, ist außerordentlich wenig und nicht planmäßig von einem dominierenden Standpunkt aus durchgeführt. Sie konnten bis heute in Frieden leben, weil nur die fischereilichen Interessen entgegenstehen und der Gewerbeaufsichtsbeamte danach auch keinen Grund hat, Schwierigkeiten zu machen. Übersehen Sie aber nicht, dass die nachteiligen Wirkungen, die die Abwässer Ihres Werkes verursachen können, steigen und infolgedessen Ihnen auch wachsende Schwierigkeiten bereiten können. Erwägen Sie deshalb, ob Sie nicht gut tun, etwas grundlegendes zu unternehmen.“

In einem Gutachtenentwurf vom November 1932 führte Schnitzler dann aus, dass auf einer kleineren Strecke entlang des Hochofenwerkes die Bodennahrung für Fische teils durch Teer, teils durch Eisenablagerungen überdeckt und damit abgestorben sei. Allerdings seien auch in diesem Abschnitt durchaus Fische vorhanden und bei dauerhafter Verbesserung der Verhältnisse würde sich neues Leben auf dem Traveboden entwickeln. In einem Begleitschreiben an das Hochofenwerk stellte er fest, dass er sich bewusst sehr allgemein und sehr vorsichtig ausgedrückt habe. Ein Gegengutachten des Fischereibiologen Schiemenz werde wahrscheinlich zu ähnlichen Ergebnissen kommen, ohne genaue chemische Analysen durchzuführen. Vor allem der Eisengehalt sei das Problem, auf das er aber absichtlich nur sehr allgemein eingegangen sei. In der Literatur gebe es durchaus Meinungen, die dem Hochofenwerk in jeder Beziehung gefährlich werden könnten. Er habe sie aber unerwähnt gelassen, um den Gegner nicht noch extra darauf zu stoßen.

Bei erneuten Verhandlungen zwischen Werk und Fischern im Jahr 1936 ging es auch um die Frage, ob nicht zu viele Fischer auf der Trave vorhanden seien, und vor allem deshalb die Lage für den Einzelnen immer schwieriger würde. Schließlich lobte der Senat eine Geldentschädigung für diejenigen aus, die ihren Beruf aufgeben wollten, für die älteren in Form einer Rente, für die jüngeren durch eine Abfindung. Letzteren sollte außerdem bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz geholfen werden. Das Hochofenwerk bot Dauerarbeitsplätze für solche Aussteiger an. Es wurden auch die Namen von vier Fischern genannt, die ein solches Angebot annehmen wollten.

Schlutups Fischbratereien und das Travewasser

Ab 1934 versuchte das Hochofenwerk verstärkt, andere Gründe für die Wasserverschmutzung herauszuarbeiten und konzentrierte sich dabei auf die Ableitungen der Schlutuper Fischindustrie. Diese fettigen Fischabfälle verschmierten nicht nur die Boote, die Anleger und die schwimmende Badeanstalt des Hochofenwerkes, sondern verbrauchten bei ihrer Zersetzung vor allem den im Wasser vorhandenen Sauerstoff, wodurch Fischsterben herbeigeführt werden könnten. In einem Schreiben an die Gewerbepolizei Lübeck vom 6.7.1936 beschuldigte das Hochofenwerk vor allem die Fischmehlfabrik. Zwar würden die Fettmassen in einem Klärbecken zurückgehalten, dann aber von Zeit zu Zeit heimlich nachts in die Trave abgelassen. Die Fischer bestritten die schädlichen Wirkungen dieser Abwässer. Sie beharrten weiterhin darauf, dass Fischsterben immer nur in den sichtbaren Abwasserfahnen des Hochofenwerkes vorkäme.

In einer Besprechung am 15.8.1936 mit Prof. Steyer von der Hauptstelle für Pflanzenschutz in Lübeck berichtete Dr. Grimm von der Preußischen Landesanstalt für Fischerei, dass er die Verhältnisse der Fischmehlfabrik und des Schlutuper Sieles untersucht und dabei erhebliche Mängel festgestellt habe. Diese habe er sofort beim Bauamt mitgeteilt. Auch das Polizeiamt stellte am 25.8.1936 fest, dass die Fettmassen, die die Badeanstalt des Hochofenwerkes verschmutzten, hauptsächlich aus dem Schlutuper Siel austräten. Deshalb sei die Sielbauabteilung des Bauamtes um eine schleunigste Behebung dieser Missstände gebeten worden.

Im September 1937 teilte die Gewerbepolizei dem Hochofenwerk mit, dass seine Beschwerden durchaus berechtigt seien. Die Schlutuper Bratereien und Marinieranstalten leiteten ihre Abwässer über das Schlutuper Siel ungeklärt in die Trave ab. Das Bauamt habe für den Bau einer Kläranlage eine Summe von 30.000 Mark in den Haushalt eingestellt, ob sie genehmigt werde, sei aber nicht klar. Das Hochofenwerk wies darauf hin, dass nicht nur die Fischerei geschädigt und Anleger und Boote verschmutzt würden, sondern das Ganze auch eine Vernichtung volkswirtschaftlicher Werte darstellte. Die Fettmassen könnten gut gesammelt und zu Seife verarbeitet werden. Als die Mittel zum Bau der Kläranlage nicht genehmigt wurden, regte das Hochofenwerk an, doch beim Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan, Hermann Göring, um Unterstützung zu bitten, denn dieses sei sicher an einer Weiterverwertung des Fettes interessiert.

Während der Zeit des Zweiten Weltkrieges ruhte die Auseinandersetzung weitestgehend. Zwar sondierten die Fischer im Juni 1941 nochmals die Möglichkeit zum Abschluss eines neuen Vertrages, was vom Hochofenwerk allerdings energisch zurückgewiesen wurde. Es ist anzunehmen, dass die Einflussmöglichkeiten der Fischer wegen der Kriegslage nicht sehr günstig waren. Das Hochofenwerk produzierte Roheisen, einen wichtigen Grundstoff für die Rüstungsindustrie, und hatte von daher sicher bei den Behörden in der Vertretung seiner Interessen absoluten Vorrang.

Erneutes großes Fischsterben

Am 18. März 1949 wurde den Behörden wiederum ein großes Fischsterben gemeldet. Die Lübecker Finanzverwaltung bat um Auskunft, ob etwaige Funktionsstörungen an der Kläranlage vorgekommen seien. Das Hochofenwerk behauptete, dass ihm davon nichts bekannt sei. In einem internen Aktenvermerk wurde aber festgehalten, dass zu der Zeit Reparaturarbeiten am Klärbecken stattfanden und deshalb ungenügend gereinigte Abwässer in die Trave gelangt seien. Dies wollte man den Behörden gegenüber aber nicht angeben, sondern nur eine Prüfung dieser Frage zusagen.

Umfangreiche Gutachten

Ende 1952 waren die Fischer wieder an das Hochofenwerk herangetreten, um über ein erneutes Abkommen nach Art der Vereinbarungen der 20er und 30er Jahre zu verhandeln. Nach längeren Verhandlungen einigte man sich schließlich auf vier Gutachter, die ihre Ergebnisse im August 1956 vorstellten. Darin wurden die Wasserverhältnisse auf der gesamten Länge der Untertrave zwischen Einsiedelfähre und Pötenitzer Wiek untersucht. Grundsätzlich wurde darin festgestellt, dass die Abwasserbelastung des untersuchten Abschnittes sehr erheblich sei. Erschwerend kämen die schwierigen Strömungsverhältnisse hinzu, die dazu führten, dass einerseits auf dem Travegrund salzhaltiges Ostseewasser bis in die Stadthäfen eindringen könne, während andererseits das Süßwasser der Trave an der Oberfläche Richtung Ostsee abfließe.

Danach wurden einzelne Streckenabschnitte untersucht. Die im Stadtgebiet weitestgehend ungeklärt eingeleiteten Abwässer führten dem Fluss in hohem Maße fäulnisfähige Stoffe zu, die den Sauerstoffgehalt des Wassers stark herabsetzten. Erst zwischen Teerhofsinsel und Herrenbrücke begann der Fluss sich wieder zu erholen. In Schlutup wurden dann die sehr fett- und eiweißhaltigen Abwässer der etwa 50 Fischverarbeitungsbetriebe entweder nur sehr ungenügend oder gar nicht geklärt in die Trave abgelassen. Dadurch wurde dem Fluss zwar wieder in hohem Maße Sauerstoff entzogen, da sich die Trave allerdings bis dahin weitestgehend regeneriert hatte, waren schädliche Auswirkungen dieser Ableitungen nur zeitlich und örtlich begrenzt festzustellen. Auf der anderen Seite der Trave flossen dann die Abwässer der Metallhütte in den Fluss. Die Wissenschaftler stellten fest, dass das Wasser in einem besseren Zustand war, als bei früheren Proben. Offensichtlich hatte eine technische Verbesserung der Kläranlage ihre Wirkung getan.

Bei einer Gesamtbetrachtung kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass sowohl die Cyanverbindungen als auch die Eisenanteile zu hoch waren und für die Fische tödlich sein mussten. Im gesamten Gebiet zwischen der Schlutuper Wiek und der großen Holzwiek war außerdem die Bodenfauna durch Eisenablagerungen fast vollständig vernichtet. Erst jenseits der Stülper Huk war wieder eine Bodenbesiedlung mit Muscheln, Schnecken und verschiedenen Wurmarten festzustellen.

Abschließend versuchten die Gutachter noch die Anteile der verschiedenen Einleitungen an den Fischereischäden festzulegen. Im Gebiet bis zu Herrenbrücke kamen sie zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Schäden auf die städtischen Abwässer, 10 Prozent auf wasserbauliche Maßnahmen zurückzuführen seien. Im Gebiet unterhalb der Herrenbrücke entfielen 70 Prozent auf die Abwässer der Metallhütte, 10 Prozent auf die Schlutuper Fischindustrie, 10 Prozent auf die städtischen Abwässer und 10 Prozent auf wasserbauliche Maßnahmen.

Wirksame Verbesserung

Bereits Mitte der 50er Jahre hatte die Firma begonnen, Pläne zur Verbesserung ihrer Abwasserbehandlung auszuarbeiten. Ein Idealplan stellte bedeutende Veränderungen in der Abwassereinleitung zusammen. Darin wurde vor allem eine weitgehende Wiederverwendung der Brauchwässer ins Auge gefasst, so dass nur noch sehr geringe Mengen abgeleitet werden müssten. Außerdem sollte eine neuartige biologische Kläranlage, die allerdings zunächst in einer Pilotanlage getestet werden musste, eine weitgehende Reinigung der verbleibenden Abwässer ermöglichen. Im Sommer 1958 waren die neuen Anlagen fertig gestellt, die biologische Kläranlage nahm ihren Betrieb Anfang der 60er Jahre auf.

Mit der Verwirklichung dieser Einrichtungen verfügte die Metallhütte nach den jahrzehntelangen Auseinandersetzungen endlich über wirksame Wasserreinigungsanlagen, die ihre Wirkung taten. Selbst die Fischer, die das Werk immer wieder als alleinigen Verschmutzer denunziert hatten, drehten sich in ihrer Einschätzung nun um 180 Grad. In Zeitungsartikeln aus dem Beginn der 60er Jahre wird die Metallhütte von ihnen als Beispiel für effektive Abwasserreinigung bezeichnet.

Situation nach der Stillegung des Hochofenwerkes

Zum Schluss noch ein Blick auf die Situation der Trave nach der endgültigen Stilllegung des Werkes im Jahre 1990: In einem Aufsatz aus dem Jahre 1992 stellt Tevfik Senocak fest, dass sich der Fluss insgesamt wieder etwas erholt habe, was man an der Wiederansiedlung einzelner Tierarten sehen könne. In den 70er und 80er Jahren habe sich durch die Errichtung zentraler städtischer Kläranlagen die Abwasserbelastung reduziert. Nur die Lübecker Häfen bildeten eine Ausnahme: Hier herrschten immer noch schwefelwasserstoffhaltige Sedimente vor. Trotz dieser Verbesserungen sind die Folgen des jahrzehntelangen sorglosen Umganges mit der Trave zu spüren: Die Vertiefungen und Begradigungen des Flusses haben zu einer Verringerung der Artenvielfalt geführt, da viele Fischarten auf bestimmte vorgegebene Lebensräume angewiesen sind, die durch solche Wasserbaumaßnahmen zerstört wurden. Im gesamten Bereich der Untertrave stellt Senocak noch schwermetallhaltige Sedimente fest, die zum Teil die Grenzwerte deutlich übersteigen. Seiner Meinung nach müsste untersucht werden, wie diese möglichst schadlos beseitigt werden könnten. Seine restlichen Verbesserungsvorschläge betreffen hauptsächlich die negativen Auswirkungen der Schifffahrt. Geschwindigkeitsbegrenzungen, effektivere Kontrolle der Ableitungen von Schiffen und eine Einschränkung des Motorbootverkehrs könnten wirksame Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna in der Trave sein.

Verfasser: Dr. Wolfgang Muth, ehemaliger Leiter des Museums Geschichtswerkstatt Herrenwyk

Abb. 1: (Luftbild 1912): Luftbild des Hochofenwerkes Lübeck im Jahre 1912 (IGH)

Abb. 2: (Kläranlage): Biologische Kläranlage der Metallhüttenwerke Lübeck im Bau, 1959. (IGH)

Abb: 3: (Fischerboot): Friedliche Koexistenz? Schlutuper Fischer auf der Trave auf Höhe der Metallhütte, 30.9.1969. (IGH)

Katja Mentz 26. Oktober 2017