GAL: Ungleichbehandlung von Kindern mit Behinderung beseitigen

Wer ein Kind mit Behinderung hat, dass eine Schulbegleitung benötigt, muss hierfür als Elternteil Anträge stellen. In der Unterrichtszeit und in der Nachmittagsbetreuung an der Schule wird die Begleitperson über die Eingliederungshilfe bewilligt, weil jedes Kind ein Recht auf Bildung hat – geregelt im 9. Sozialgesetzbuch, unter Paragraf 112. Wenn dasselbe Kind mit Begleitperson auch die Ferienbetreuung im Ganztag an Schule besuchen will, müssen Eltern erneut einen Antrag stellen. Es ist jedoch ein anderer Paragraf zuständig: §113 SGB IX für soziale Teilhabe. Hierbei müssen Eltern ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen. Tun sie dies nicht oder liegen über einer Einkommens- oder Vermögensgrenze, übernimmt die Eingliederungshilfe nicht die Kosten für die Begleitperson des Kindes. Eltern von Kindern ohne Behinderung betrifft dies nicht. Für sie gilt der Betreuungsvertrag des Ganztags an Schule, der die Früh- und Nachmittagsbetreuung an Schultagen gleichermaßen wie Ferienzeiten einschließt.

Diese Ungleichbehandlung von Kindern mit und ohne Behinderung will die Fraktion Linke & GAL beseitigen. Bürgerschaftsmitglied Juleka Schulte-Ostermann (GAL) stellt deshalb in der kommenden Sitzung eine Anfrage, mit der juristisch klargestellt werden soll, dass die Ferienbetreuung im Ganztag an Schule zum pädagogischen Konzept der Schule gehört bzw. zum Schulprogramm und inhaltlich den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule erfüllt – somit als „Teilhabe an Bildung“ nach § 12 SGB IX zählt. „Es kann doch nicht sein, dass mit diesem umständlichen Antragsverfahren inklusive Einkommens- und Vermögensprüfung Kinder benachteiligt werden, weil sie mit einer Behinderung aufwachsen und Begleitung benötigen. Diese Ungleichbehandlung verstößt meines Erachtens eindeutig gegen die UN-Behindertenrechtskonvention und wir wollen, dass die Hansestadt Lübeck zukünftig auch Kindern mit Behinderung die Ferienbetreuung an ihrer Schule ohne gesonderten Antrag gewährt, wenn die Eltern Betreuungsbedarf anmelden,“ so Juleka Schulte-Ostermann.

Anfrage von Juleka Schulte-Ostermann (GAL) im Wortlaut:

Der Bürgermeister der Lübecker Verwaltung wird gebeten, die nachfolgende Frage schriftlich zu beantworten:

Wie und bis wann wird sichergestellt, dass die Ferienbetreuung im Rahmen des schulischen Ganztags für Kinder mit Behinderung in Lübeck – entsprechend § 3 der Kooperationsvereinbarung zwischen der Hansestadt Lübeck, den Schulen und den jeweiligen Trägern – als Teilhabeleistung zur Bildung nach § 112 SGB IX und nicht als Leistung der sozialen Teilhabe nach § 113 SGB IX anerkannt und bewilligt wird, sodass eine gesonderte Antragstellung mit Einkommens- und Vermögensprüfung für die Ferienzeiten des Ganztags an Schule entfällt und betroffene Kinder und Familien nicht länger benachteiligt werden, und der damit verbundene Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention beendet wird?

Es wird aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Sommerferien um Beantwortung spätestens im Jugendhilfeausschuss am 03.07.2025, des Weiteren im Schulausschuss am 17.07.0225 und der nachfolgend noch vor der Sommerpause stattfindenden Bürgerschaft am 24.07.2025 gebeten.

Begründung:

Nach aktueller Praxis wird die notwendige Unterstützung für Kinder mit Behinderung während der Schulzeit als Leistung zur Teilhabe an Bildung (§ 112 SGB IX) anerkannt, wodurch keine Einkommens- und Vermögensprüfung der Eltern erfolgt. In den Ferien hingegen wird der Ganztag an Schule als Leistung der sozialen Teilhabe (§ 113 SGB IX) behandelt, was eine solche Prüfung nach sich zieht. Diese Unterscheidung führt zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung von Kindern mit Behinderung und ihren Familien und stellt einen Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention dar, insbesondere weil diese Situation ausschließlich Kinder mit Behinderung betrifft, während alle anderen Kinder im Ganztag an Schule hiervon nicht betroffen sind.

Die Hansestadt Lübeck, Bereich Schule und Sport, schließt mit jedem Standort Ganztag an Schule mit der betreffenden Schule und dem Träger des Ganztags eine Kooperationsvereinbarung ab. Diese Kooperationsvereinbarung stellt in § 3 ausdrücklich fest:

„Die Betreuungsangebote während der Ferienzeiten sind Bestandteil des pädagogischen Konzepts der Schule bzw. des Schulprogramms und erfüllen inhaltlich den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule.“

Damit ist die Ferienbetreuung integraler Bestandteil des schulischen Ganztags und keine reine Freizeitmaßnahme im Sinne der sozialen Teilhabe. Die künstliche Trennung zwischen Schulzeit und Ferienzeit widerspricht zudem dem inklusiven Bildungsauftrag und der UN-Behindertenrechtskonvention, die eine umfassende und diskriminierungsfreie Teilhabe am schulischen Leben fordert. Denn diese künstliche Trennung wird nur bei Kindern mit Behinderung angewendet und nicht bei Kindern ohne Behinderung, die regulär ohne gesonderte Antragstellung und ohne Einkommens- und Vermögensprüfung ihrer Eltern, ausschließlich basierend auf ihrem Betreuungsvertrag für den Ganztag an Schule, am Ganztag sowohl in der Schul- als auch in der Ferienzeit teilnehmen können. Im Gegensatz zu Kindern mit Behinderung gibt es für sie kein Risiko, aufgrund der für Kinder mit Behinderung oben genannten Antragspflichten vom schulischen Ganztagsangebot in der Ferienzeit ausgeschlossen zu werden.

Auch die Rechtsprechung (LSG Niedersachsen-Bremen, Az. L 8 SO 249/17 B ER) unterstützt die Auffassung, dass Ferienangebote, die fest im Schulkonzept verankert sind, als Bildungsleistung zu bewerten sind. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen betont, dass bei der Beurteilung von Leistungen für Kinder mit Behinderung nicht allein auf die formale Abgrenzung zwischen schulischen und außerschulischen Zeiten abgestellt werden darf. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Maßnahme – wie hier die Ferienbetreuung im Rahmen des Ganztags – dem Bildungs- und Erziehungsauftrag entspricht und integraler Bestandteil des pädagogischen Konzepts ist. Leistungen, die unmittelbar der schulischen Eingliederung und Entwicklung dienen, sind grundsätzlich als Teilhabeleistung zur Bildung zu werten und nicht als reine Freizeit- oder soziale Teilhabeleistung.

Übertragen auf die aktuelle Situation in Lübeck bedeutet dies: Wenn – wie durch § 3 der Kooperationsvereinbarung für den Ganztag an Schule ausdrücklich und vertraglich zwischen dem Schulträger, der Schule und dem Ganztagsträger festgelegt – die Ferienbetreuung Bestandteil des pädagogischen Konzepts und des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule ist, so ist auch die Ferienbetreuung des Ganztags an Schule in Lübeck als Bildungsleistung nach § 112 SGB IX anzuerkennen. Damit entfiele die Einkommens- und Vermögensprüfung, die nur für Leistungen der sozialen Teilhabe nach § 113 SGB IX vorgesehen ist. Die bislang in Lübeck bestehende Trennung zwischen Schulzeit und Ferienzeit ist nach aktuellem Sachstand wie ausgeführt sachlich und rechtlich nicht zu begründen, da die Ferienbetreuung des Ganztags an Schule integraler Bestandteil des Bildungsauftrags des schulischen Ganztags ist.

Es wird daher – wie in der Anfrage oben ersichtlich – um eine Klärung gebeten, wie und zu wann die Hansestadt Lübeck die Gleichbehandlung sicherstellt und die Ferienbetreuung des Ganztags an Schule als Teilhabeleistung zur Bildung für Kinder mit Behinderung – basierend auf § 3 der Kooperationsvereinbarung – anerkannt wird, um die bestehende Benachteiligung und damit verbundene Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Lübeck zu beenden.