Kindertagespflege: Über den Betreuungsumfang entscheiden die Eltern
„Wir freuen uns sehr, dass in der Kindertagespflege künftig keine Reduzierung der von Eltern genannten Betreuungsbedarfe mehr durchgeführt werden. Es gelten hier von nun an die gleichen Regeln wie in Kindertageseinrichtungen“, so Juleka Schulte-Ostermann, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der GAL.
„In der Beantwortung unserer Anfrage in der Bürgerschaft, gestellt durch Antje Jansen, heißt es von der Verwaltung, der Betreuungsumfang für Kinder unter drei Jahren bemesse sich von nun an allein durch den von den Eltern vorgetragenen individuellen Bedarf – begrenzt durch das Wohl des Kindes.“
„Die bisherige Praxis in Lübeck sah anders aus“, erläutert Juleka Schulte-Ostermann. „Durch die Verwaltung wurde ein ‚objektivierter Bedarf‘ errechnet, der sich aus Arbeitszeit zuzüglich Fahrtzeit zusammensetzte. Verwaltungsmitarbeiter*innen überprüften dafür den von Eltern angegebenen Arbeitsweg per Google Maps, der angemeldete Betreuungsbedarf wurde gegebenenfalls heruntergerechnet.
Eine Reduzierung des Betreuungsumfangs erfolgte nach bisheriger Praxis auch, wenn Mütter nach der Schwangerschaft mit ihrem weiteren Kind in Elternzeit gingen. Eine (höhere) subjektive Bedarfsanmeldung der Eltern wurde von der Verwaltung bisher nur anerkannt, wenn eine von den Eltern einzuholende Bestätigung über den „pädagogischen Mehrbedarf“ vom Jugendamt vorgelegt wurde.
„In Krippen und Kitas fand und finden solche Überprüfungen nicht statt und sind nach höchstrichterlicher Entscheidung auch gar nicht zulässig. Deshalb freuen wir uns, dass die Lübecker Verwaltung aufgrund unserer Anfrage ihre bisherige Praxis zügig umstellt – sie hat bereits rund 80 Kindertagespflegepersonen darüber informiert und diesen zusätzlich mitgeteilt, dass diese neue Regelung auch für alle Kinder über drei Jahren gelte“, so Juleka Schulte-Ostermann.
Anfrage und Antwort im Wortlaut:
1. Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgt die Objektivierung des von Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfes in der Kindertagespflege (KTP)?
Die Objektivierung des von den Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfes erfolgt nach § 24 SGB VIII. Dabei wird nicht nach den jeweiligen Betreuungsformen Kindertagespflege oder Kindertageseinrichtung unterschieden, der Objektivierungsgrundsatz besteht für alle Betreuungsformen.
2. Auf welcher rechtlichen Grundlage sind die damit verbundenen ungleichen Bewilligungsmodalitäten von Betreuungsumfängen in der KTP und Kindertageseinrichtungen (Krippe und Kita) begründet und zulässig?
Eine unterschiedliche Handhabung ergibt sich allein aus den unterschiedlichen Fördersystemen für die Kindertagesbetreuung und der Kindertagespflege.
Kindertageseinrichtungen erhalten einen Betriebskostenzuschuss, dieser wird in der Hansestadt Lübeck einrichtungsbezogen (institutionell) geleistet. Daraus folgt, dass Kindertageseinrichtungen Plätze, die nach Vergabe der Plätze unter Anlegung der (objektivierten) Bedarfskriterien freigeblieben sind, auch an Kinder vergibt, die die Bedarfskriterien nicht erfüllen. Anders die Situation in der Kindertagespflege, hier erfolgt die Förderung nach den Regelungen des §23 SGB VIII Kind bezogen entsprechend dem (objektivierten) individuellen Bedarfs.
3. Ist die Objektivierung des von Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfes in der KTP durch die Verwaltung mit Blick auf die jüngsten höchstrichterlich Rechtsprechung (siehe Begründung zur vorliegenden Anfrage) in Lübeck weiterhin rechtlich zulässig?
Wenn ja, warum?
Die Objektivierung des von den Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfs erfolgt in der Hansestadt Lübeck auf Grundlage des § 24 SGB VIII, für unter 3-jährige Kinder insbesondere gestützt durch ein Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht, das im Folgenden auszugsweise wiedergegeben ist:
„Voraussetzungen und Umfang des Rechtsanspruchs auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege für Kinder unter drei Jahren….Anerkennung eines individuellen Bedarfs
Begehren Erziehungsberechtigte für ihr Kind eine vom bedarfsunabhängigen Grundanspruch hinsichtlich Dauer und/oder Zeitfenster abweichende Betreuungszeit, so fordert das Gesetz hierfür die Geltendmachung eines individuellen Bedarfs.
Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen alle Eltern für ihr Kind ein Förderungsangebot erhalten, das ihren „individuellen Betreuungswünschen“ entspricht. Das Gesetz fordert aber einen „Bedarf“. Ein Rechtsanspruch besteht somit nicht bei jedem persönlichen Wunsch.
Notwendig ist, dass die Erziehungsberechtigten objektivierbare Gründe für die abweichenden Betreuungszeiten haben, die aufgrund der Zielsetzung des Gesetzes anzuerkennen sind.“
Durch die jüngste – insoweit geänderte – Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich eine neue Rechtsauslegung.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betrifft die Regelungen des §24 Abs. 2 SGB VIII, somit die Betreuung von Kindern ab Vollendung des ersten Lebensjahres bis Vollendung des dritten Lebensjahres. Für diese Altersgruppe ist die bisherige Praxis, den individuellen Betreuungsbedarf zu objektivieren, nicht länger haltbar.
Deshalb wird in der Kindertagespflege eine Bedarfsprüfung für die genannte Altersgruppe nicht mehr durchgeführt, der Betreuungsumfang bemisst sich allein durch den von den Eltern vorgetragenen individuellen Bedarf, begrenzt durch das Wohl des Kindes.
Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Kindertageseinrichtungen mit der Einschränkung, dass der individuelle Bedarf nicht in jeder Kindertageseinrichtung erfüllt werden kann.