Umgang mit Erbpacht in Lübeck
„Das Erbbaurechtsgesetz von 1919 sollte die Bodenspekulation bekämpfen und sozial schwächeren Schichten die Möglichkeit geben, ihr eigenes Haus zu bauen. Beides hat das Gesetz erreicht. Wir, grün+alternativ+links, möchten die auslaufenden Lübecker Erbbaugrundstücke spekulationssicher machen und auch für sozial schwächere Schichten als Wohnsitz erhalten,“ erklärt die Fraktionsvorsitzende Antje Jansen zur laufenden Diskussion um die Erbbaugrundstücke in Lübeck.
Doch das scheint schwierig zu sein. Der Bürgerschaftsbeschluss vom April 2016 bietet den ErbpächterInnen an, ihr Grundstück zum jetzigen Bodenrichtwert plus 10% zu kaufen oder ihr laufendes Erbbaurecht zu verlängern.
Bei einer Verlängerung steigt der jährliche Erbbauzins auf 4% des Bodenrichtwertes – das kann dann sogar bei niedrigen Bodenrichtwerten das 86fache des jetzigen Erbbauzinses ausmachen. Diese Regelung bereitet vielen Betroffenen Sorgen. Für ErbbaupächterInnen, die nicht unter die Härtefallregelung oder die Familienermäßigung fallen, ist bei den heutigen Hypothekenzinsen der Kauf des Grundstücks die finanziell günstigere Lösung. Ist das städtebaulich sinnvoll? „Nein“, sagt der baupolitische Sprecher der GAL, Carl Howe.
Der Bürgerschaftsbeschluss führt dazu, dass Grundstücke, bei denen der Erbbauvertrag in den 2020ern ausläuft, heute schwer zu verkaufen sind. Sie sind nach § 20(1)3. Erbbaurechtsgesetz – „Die planmäßige Tilgung der Hypothek muß spätestens zehn Jahre vor Ablauf des Erbbaurechts endigen“ – nicht mehr beleihbar. Die KäuferIn muss den Kaufpreis für Haus und Erbbaurecht praktisch auf ihrem Konto haben. Und wer hat rund 100 000 € auf seinem Konto? Das war von der Bürgerschaft sicherlich nicht beabsichtigt.
Wir schlagen deshalb eine weitere Variante der Verlängerung eines Erbbauvertrages aus der Weimarer Republik vor:
Die ErbpächterIn verlängert ihren Erbbauvertrag um weitere 99 Jahre. Sie kann das Erbbaurecht vererben, verzichtet aber auf ihr Recht, es verkaufen zu können. Sie bezahlt einen jährlichen Erbbauzins von 1 € pro m². Will sie ihr Erbbaurecht aufgeben, gibt sie es – entsprechend § 26 Erbbaurechtsgesetz – an die Hansestadt Lübeck zurück. Sie erhält den vollen Wert ihres Hauses.
„Die Koppelung eines niedrigen Erbbauzinses mit einem Verkaufsverbot erschwert die Spekulation mit Erbbaugrundstücken erheblich,“ erklärt Carl Howe. „Die Rückgabe des Grundstücks an die Stadt ist städtebaulich sinnvoll. Die Stadt kann das Grundstück wieder als Erbbaurecht vergeben oder anderweitig nutzen. Beispielsweise als Kindergarten, wenn die Altersstruktur sich in der Siedlung entsprechend verändert hat.“
Exkurs: Ein Erbbauzins von 1 € klingt nach über-den Daumen-gepeilt. Doch wir haben den ursprünglichen Erbbauzins von zwei Erbpachtverträgen (Gärtnergasse von Februar 1925 und Virchowstraße von Mai 1926), die uns vorliegen, mit zwei unterschiedlichen Methoden auf das Jahr 2017 umgerechnet – analog zum Bürgerschaftsbeschluss, der den neuen Erbbauzins an den Verbraucherpreisindex koppelt.
1) Die Goldmethode: Die Erbpachtverträge geben den Goldwert einer Reichsmark mit 1/2790 kg Gold an. Legt man den heutigen Goldkurs von 35 000 € pro kg Gold zugrunde, ist 1RM heute 12,54 € wert.
2) Die Kaufkraftmethode: Laut Statistischem Bundesamt entspricht die Kaufkraft 1 RM der Jahre 1924-1936 aktuell 6,63 € (Wikipedia, Reichsmark, Kaufkraftumrechnung).
Erbbauzins pro m²
1925/26 heute
Goldmethode Kaufkraftmethode
Gärtnergasse 0,0375 RM 0,47 € 0,24 €
Virchowstraße 0,15 RM 1,88 € 0,99 €
Die Hansestadt Lübeck ist der größte kommunale Erbbaurechtsausgeber Deutschlands. Insbesondere die Erbbausiedlungen der 20er Jahre haben mit ihrem Lebensgefühl und ihrer Architektur die Lübecker Vororte rund um die Altstadt geprägt. Knapp 700 Erbbauverträge werden in den 2020er Jahren auslaufen. Dazu sagt Kristina Aberle, kulturpolitische Sprecherin der GAL: „Wir werden in der nächsten Sitzung der Bürgerschaft 3500 € für eine Masterarbeit beantragen. In dieser Arbeit können die Erbbauverträge der einzelnen Siedlungen, die Berufe und die soziale Stellung der ursprünglichen ErbpächterInnen, die Bedeutung der Erbbausiedlungen für die Hansestadt Lübeck, und ihre Entwicklung über knapp 100 Jahre untersucht werden. Wir erhoffen uns von dieser Arbeit eine belastbare Antwort auf die Frage: Soll Lübeck seine Erbbaugrundstücke verkaufen oder ein Lübecker Modell entwerfen, das die Erbbausiedlungen und ihre Kultur schützt und entwickelt?“